Das Offensichtliche grinst uns manchmal an ohne, dass wir es merken, was dieser Schalk mit uns macht. Hier ist es die verflüssigte Formulierung ohne Komma, Punkt und Steuerzeichen, die uns Luft holen ließen. Steamboat-Reading wie die wachsweichen Uhren von Salvador Dalì: Mach schnell. Es ist so herrlich intellektuell. Grüße gehen raus an Reinhard Mey in Berlin (Charlottengrad). Und Annabell.
Wir müssen, was auf der Tankstellenwand steht, zwangsläufig ohne Punkt und Komma lesen. Bockwurst ohne Brötchen mit Brötchen steht da und genau so würde ich das Fresschen bestellen. Recht eilig dahingesagt. Vermutlich würde das Tresenpersonal mich ratlos ansehen, aber es ist auch eine Raststätte mit rollendem „R“ wie bei Rolling in the Deep, also würde es mich rastlos ansehen. Dies ist eine ganz andere Geschichte und hier nicht erzählt zu werden würdig. Paul Würdig hat Drogen entzogen in der Klinik für etwas wohlhabende Drug Addicts, sagt er und früher hieß das Fensterputzmittel Sidolin. Kannst Du hier noch folgen, jetzt? Nun zu etwas ganz anderem.
Es spielt hier so gut wie gar keine Rolle, aber alle namhaften Rapper Deutschlands haben derzeit das Besinnungsdings am Laufen. Sido entzieht Drogen und redet von Trennungsproblemen vor laufender Kamera Obscura. Bushido wohnt jetzt in Dubai und vermarktet seine Seelenforscherei, anstatt endlich erwachsen zu werden. Es ist ein Graus. Fasse zusammen: Es gibt genügend Gründe, sich mächtig einen auf die Lampe zu kippen.
In dem Charlottenburger Kiezlokal Zur Linde tritt ein Bänkelsänger auf, schließt seine Gitarre an und schon wirft der Interpret ein paar Klänge auf die Gäste. Man prostet ihm zu, wir sind guter Laune, alles ist schön. Hinterher kriegt er einen Zehner EURO Trinkgeld, aber er trinkt nichts. Er ist hier, um etwas Geld zu verdienen. Ggü. ist ein Netto-Supermarkt. Da gibt es auch Rotwein. Von wegen Trinkgeld. Rotwein. Rotwein! Ein Edelgesöff mit einem tanninen Nachgeschmack, Histamine flocken in der Nase und wohlige Schauer in den Nasenschleim. Der Saft muss laufen.
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Der Grund, warum man Menschen sagt, sie sollen ruhig was mitbringen, ist, den Aufwand der Gastbewirtung im privaten Wohnraum auf mehrere Personen zu verteilen, anstatt im Gastmördermodus mehrere Gäste zu Filet zu zerteilen. Jeder bringt was mit. Alle teilen was. Ich finde diesen Gedanken gräuslich. So geht es mir fast immer mit dem Auftrag an einen Gast, er solle Rotwein mitbringen. Hier neige ich zu Stützkäufen.
Ich halte mich seit längerem bewusst mit Rotwein trinken zurück. Guter Rotwein ist ein Gesöff, das mir reinfließt genau wie das eingangs gezeigte Schild zu Bockwürsten ohne Brötchen mit Brötchen suggeriert. Ich könnte jeden Tag eine Flasche guten Rotwein trinken. Das Problem wäre, eine Flasche wird zu zweien. Und so fort. Da ich das weiß, mache ich das nicht mehr, dieses tägliche einen Rotwein trinken. Klartext: Bestünde die Gefahr übermäßiger Gewöhnung für mich nicht, wäre Wein mein Wasser und das predige ich hier. Weisse Bescheid, Schätzelein.
Wie schon gesagt: Ganz wenigen traue ich einen süffisanten guten Geschmack zu. Und ich erwarte auch in dem Lokal Zur Linde keinen Rotwein, der mich umwirft, in geschmacklicher Hinsicht. Das ist auch gar nicht das Ziel dieses Lokals. Es ist wie das alte, nicht mehr existente Coca-Cola-Werk in Berlin (Lichterfelde) zu verstehen: Die Linde ist eine große Abfüllanlage. Für Gäste.
Wann immer jemand zu uns zu Besuch kommt und Rotwein mitbringen will, kaufe ich heimlich noch Rotwein, von dem ich ganz sicher weiß, er lässt sich gut trinken. Von dieser generellen Regel meinerseits gibt es nur ganz, ganz wenige Ausnahmen, also Menschen, denen ich einfach einen guten Geschmack regelrecht zutraue. Wo ich mich zurücklehnen kann, mit der Zunge schnalzend und mit Leberkäs und Spiegelei werfend wie Fritz Teufel Ende der sechziger Jahre in München, weil das Personal die langhaarigen Gammler nicht bedienen mochte. Es war eine verrückte Zeit, die der Studentenbewegung mit Puddingbomben und Anarchotorten, Anschläge auf Kaufhäuser und dergleichen. Meine aktuelle Kommune Eins kennt rotweintechnisch keine halben Sachen mehr.
Indem ich dem Rotweinkonsum im großen Ganzen komplett abgeschworen habe, ist nun eine Zeit gekommen, in der nur noch guter Rotwein getrunken wird.
Wo die Linde rauscht, lässt sich zusammenfassen: So sollte es auch beim Verzehr von rotem Fleisch sein.
Weiterführend
- Eins, zwei, drei – Billy Wilders Coca Cola Zentrale Berlin (West)
- Zur Linde – Die nachweislich beste Kneipe der Welt