
Aus Anlass einer Weinkellerberäumung in Berlin (Wannsee) läuft mir via Ufo Walter (auf Facebook) seine Lobpreisung einer alten Flasche Rotwein, Jahrgang 1971, über den Weg. Dem Foto der Flasche ist ein Text beigefügt, den ich nicht kannte. Nun isser hier. Wie sauer Bier.
»Wein«, sagte Eißpin, »kann dir die berauschendste Inspiration deines Lebens schenken – dir aber auch komplett den Verstand rauben. Mit Sicherheit kann man über Wein eigentlich nur eines sagen.« »Und das wäre?«
»Dass guter Wein ziemlich teuer ist!«, lachte Eißpin. »Los geht’s! Wir beginnen mit der Degustation.«…
Eißpin füllte ein Glas mit Rotwein und hielt es hoch. »Zuerst: die Sichtung!«, rief er.
Eißpin nahm das Glas ganz nah an sein Gesicht, kniff das linke Auge zu und starrte mit dem rechten hinein.
»Das Auge trinkt mit!«, sagte er. »Ist der Wein rot oder weiß? Der Kenner kann daraus schließen, ob es sich um einen Rotwein oder um einen Weißwein handelt. Faustregel: Ist der Wein durchsichtig und von leicht goldener Färbung, dann könnte es sich um einen Weißen handeln. Ist er aber tintig und rot und versperrt dem Auge die Durchsicht, dann hat man es eventuell mit einem
Rotwein zu tun. ….
…

Die Plünderung eines alten Weinkellers ist ein Blick in den eigenen Rückspiegel. Man streift durch Jahrgänge. Es sind solche Jahre dabei, in denen man gelebt hat. Aber sowat von. Man sinniert beim Bearbeiten alter Flaschen mit breitem Reinigungspinsel, was gewesen war 1972, 1982, 2012 und in all den anderen Jahrgangsmeisterschaften seines Lebens. Und so fort. Sachverständige raten davon ab, Staubbeseitigungspinsel anzusetzen. Das macht man nicht, sagen sie. Staub jahrelanger Kellerlagerung sei Zeitzeuge und bewiese Hochwertigkeit. Soviel zu Önologietheorie und -blasphemie mit Reinigungsgeräten. Mir Wurscht, was Typen sagen.
»Und nun«, rief er, »die Schmeckung!«
Er trank das Glas in einem einzigen Zug leer, wobei es ihm. völlig egal zu sein schien, dass ihm der rote Saft in den Kragen lief. Er behielt einen Schluck im Mund, auf dem er übertrieben lange herumkaute, bevor er auch ihn herunterschluckte.
»Aaaah! Recht frühreif, aber schon von Charakter! Ein starkes Rückgrat aus Walnuss und Erdbeere – blümerant, aber auf eine erdige, ehrliche Art. Ein Echo aus Lakritz hallt lange am Zäpfchen nach und seilt sich dann tief in die Speiseröhre ab. Ein Reifeton, der schmeckt wie eine alte Geige, die ein vertrautes Wiegenlied spielt. Der unvermeidliche Pfirsich, der in jedem Roten lungert, aber paniert mit mürbem Keks.

Lieber Rotwein als tot sein. – Das Weinarchiv aus Berlin (Wannsee) landet im Studio auf dem Brandenburger Lande, die Reise erfolgt per Auto, gut geschüttelt, ungerührt. Welche der rund 100 Flaschen diese Lageveränderung und das Klimakterium unbeschadet überstanden hat, wird sich noch erweisen. Nun aber gibt es Berieselungsmusik im Tonstudio, das wird den Weinstaub gären.
Da ist Kerzenfett. Neuschnee. Spekulatius. Wenig Finesse, dafür eine burschikose Säure, die etwas breitschultrig ist in den Kanten, aber korrekt ins Holz nagelt. Ich schmecke junges Leder, rostiges Eisen, feuchten Teppich, Fensterkitt und Tannennadeln. Auch Gänsebraten und den Brombeerpudding meiner toten Großmutter. Der Körper hat Volumen, aber ich würde ihn nicht als dick, sondern eher als vollschlank bezeichnen, mit viel zu großen Füßen.

Am Ende steht neben dem Turm aus Toms (Schlagzeug) ein Kistenensemble aus fünf IKEA-Aufbewahrungsboxen im Stu-Stu-Studio (Fill Collins). Und es ertönt In The Air Tonight und das vielleicht berühmteste Fill Collins à la Zeiten. Da da da da da da da daaa….I can feel it coming in the Air ♪♫♪ weisse Bescheid, Schätzelein
Eine Olivenölspur schmiert seinen Abgang, welcher lang und breit ist, wie der Ton einer uralten Totenglocke, der in den unterirdischen Gewölben einer Katakombe verklingt, in der siebenhundert nackte Zwerge fasten“ …
(Walter Moers, Der Schrecksenmeister – Kapitel „Riechung, Hörung, Schmeckung“ – über eine Weinprobe)
(Mit ideellem Dank an Ufo Walter)

